
Am Berliner Molkenmarkt wurde 2022 eine Großlatrine nahe des Großen Jüdenhofs freigelegt. In der 48 m³ umfassenden Verfüllung verbargen sich unter anderem 30 kleinformatige Knochenwürfel aus dem 14./15. Jahrhundert. Sie wurden von verschiedenen Würfelschnitzern aus den Mittelfußknochen von Rindern und Pferden geschnitzt und sind jeweils 6-10 mm groß. Neben drei Exemplaren mit Kreisaugen, besitzt die Mehrzahl einfache Augenbohrungen. Auch lassen sie sich in zwei Typen unterscheiden. Mit 27 Exemplaren überwiegen die sogenannten Regelwürfe. Zählt man die Anzahl der Augen auf den gegenüberliegenden Seiten zusammen, so ergibt sich immer die Summe 7 (1+6, 2+5, 3+4). Dieses Schema existiert bereits unverändert seit der Antike. Die anderen drei Modelle tragen auf ihren gegenüberliegenden Seiten die fortlaufende Zahlenfolge von 1 bis 6 (1+2, 3+4, 5+6).
Im Mittelalter existierten diese beiden Varianten parallel zueinander. Gewürfelt wurde in allen Gesellschaftsschichten. Klassische Spiele waren unter anderem „Puff“ und „Tricktrack“ – beides Vorläufer des modernen Backgammons. Wie auch heute wurde Glücksspiel legal und illegal betrieben – letzteres mit Strafen und Verboten. So ist es nicht verwunderlich, dass auch gezinkte Würfel zum Einsatz kamen. Ein Würfel aus der Latrine weist auffallend unterschiedlich lange Kanten auf. War das eine bewusste Manipulation oder die Arbeit eines Lehrlings?

Unter welchen Umständen die Würfel in die Latrine gelangten, lässt Raum für Spekulationen. Vieles deutet auf eine schnelle Entsorgung der Spielutensilien hin. Fand das geheime Glücksspiel im frühen 15. Jahrhundert unter dem Deckmantel des großen Geschäfts im Verborgenen der Latrine statt?
Text: Landesdenkmalamt Berlin, Julia-Marlen Schiefelbein